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11.07.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 197

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

meine heutige Musikempfehlung ist eine der aufwändigsten Ballettmusiken des 20. Jahrhunderts: Maurice Ravels "Daphnis und Chloé". Aus dem rund einstündigen Ballett sind auch zwei Suiten für den Konzertsaal entstanden, besonders die zweite Suite steht häufig auf dem Programm und ist ein echtes Showstück für Orchester.

Serge Djaghilew, der Leiter der berühmten "Ballets russes" in Paris, war stets auf der Suche nach begabten Komponisten, die ihm interessante Ballettpartituren liefern konnten. Auch Ravels "Daphnis und Chloé" entstand auf Anregung des großen Impresarios. Gemeinsam mit dem Choreografen und Tänzer Michail Fokin entwickelte er den Plan zu einem Ballett nach einem Hirtenroman des antiken Dichters Longos, der eine Liebesgeschichte zum Thema hat. Longos entwarf die Geschichte vom Schäfer Daphnis und der Nymphe Chloé. Beide genießen das Leben (1. Teil in Ravels Komposition), ehe die Piraten Chloé entführen. Hilfe kommt vom Gott Pan, der Naturkräfte auf die Piraten loslässt (2. Teil). Und schließlich präsentieren die wieder vereinten Daphnis und Chloé ein Schauspiel über die Liebe von Pan und Syrinx (3. Teil).


Ravel und Fokin waren sich einig, dass die Partitur nichts mit den herkömmlichen "Nummernballetten" gemeinsam haben sollte. Ravel schrieb also eine knapp einstündige Partitur, die er treffend als choreografische Sinfonie bezeichnete. Ravel bemerkte zu seinem Werk: "Als ich die Musik dazu schrieb, war es meine Absicht, ein ausgedehntes Klangfresko zu komponieren, wobei es mir weniger um Archaisches ging als um Treue gegenüber dem Griechenland meiner Träume, das genau jenem Griechenland entspricht, wie es sich die französischen Künstler am Ende des 18.Jahrhunderts vorgestellt und gemalt haben."


Bei der sehr allmählichen, aber umso kraftvolleren Klangentfaltung in Ravels choreografischer Sinfonie spielt der ungewohnt eingesetzte Chor eine spezielle Rolle. Als wolle Ravel seine Maxime, Musik ohne Bezüge zur Außenwelt schaffen zu wollen, hier ganz besonders herausstellen, lässt er den Chor ohne Worte singen - also nur mit sogenannten Vokalisen. Die menschliche Stimme gesellt sich auf diese Weise zu den Orchesterinstrumenten; der Chor ist in dieser neuen Funktion beispielsweise einer begleitenden Orgel gar nicht so fern.


Ravels "Daphnis und Chloé" klingt weniger griechisch als vielmehr typisch französisch und äußerst sinnlich, gar erotisch - von einer impressionistisch schillernden Klanglichkeit, wie man sie beim gemeinhin eher von zeichnerischer Klarheit geprägten Stil Ravels selten findet. Das Ballett beschloss schließlich die Pariser Theatersaison von 1912 im Théâtre du Châtelet , wurde allerdings bis zu einem gewissen Grad von dem Skandalerfolg überschattet, den Claude Debussys "Prélude à l’après-midi d’un faune" einige Tage zuvor gefeiert hatte. Igor Strawinsky nannte "Daphnis und Chloé" eines der schönsten Erzeugnisse der französischen Musik.

Bevor ich Ihnen zwei Empfehlungen für die gesamte Ballettmusik gebe, möchte ich Ihnen zunächst die zweite Suite aus "Daphnis und Chloé" vorstellen, die dem dritten Teil der Ballettmusik entspricht. Zwei Konzerte mit Sir Simon Rattle stelle ich Ihnen zur Auswahl, zunächst mit den Berliner Philharmonikern bei ihrem Gastspiel im Kultur- und Kongresszentrum Luzern im August 2012:

www.youtube.com/watch

Und hier das London Symphony Orchestra, aufgezeichnet am 13. Januar 2016 in der Londoner Barbican Hall:

www.youtube.com/watch

Ravels komplette Ballettmusik wurde am 5. November 2016 in der Londoner Amaryllis Fleming Concert Hall aufgeführt. Chor und Sinfonieorchester des Royal College of Music musizieren unter der Leitung von Bernard Haitink, der am 6. September 2019 im Alter von 90 Jahren sein letztes Konzert in Luzern dirigierte und seitdem seinen Ruhestand genießt:

www.youtube.com/watch


Und zum heutigen  Abschluss darf ich Ihnen heute noch eine Ballettaufführung ans Herz legen: Benjamin Millepied choreographierte Ravels "Daphnis und Chloé" 2014 für das Ballett der Pariser Opéra Bastille. Die Hauptpartien sind mit Hervé Moreau (Daphnis), Aurélie Dupont (Chloé), Eleonora Abbagnato (Lycénion), Marc Moreau (Dorcon) und François Alu (Bryaxis) besetzt, Philippe Jordan leitet Choeur et Orchestre de l’Opéra National de Paris:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler