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29.05.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 179

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

eine chorsinfonische Messe vom Großmeister der heiteren Opera buffa? Gioachino Rossini, einer der wichtigsten Komponisten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ist vor allem durch seine 39 Opern bekannt, darunter Publikumsfavoriten wie "Der Barbier von Sevilla", "Die diebische Elster"oder "Wilhelm Tell". Sein letztes großes Alterswerk ist die abendfüllende Petite Messe solennelle, die ich Ihnen in der heutigen Ausgabe gerne vorstellen möchte.

Diese Messe entstand 34 Jahre nach der Komposition von Rossinis letzter Oper in Passy, wo der Komponist die letzten Jahrzehnte seines Lebens verbrachte. Es handelt sich um eine Auftragskomposition für den Comte Alexis Pillet-Will und dessen Frau Louise Pillet-Will, der das Werk gewidmet ist. Die Uraufführung fand am 14. März 1864 zur Einweihung der Privatkapelle des gräflichen Paares in Paris statt. Albert Lavignac leitete die Aufführung vom Harmonium aus. 

Vielleicht waren es die engen räumlichen Verhältnisse, die Rossini zu der auf den ersten Blick etwas ungewöhnlichen, in der französischen Messtradition aber durchaus beliebten Begleitung mit Klavier und Harmonium bewegten. Am nächsten Tag wurde die Messe vor einem größeren Publikum im Pariser Théâtre-Italien wiederholt. Allen Berichten zufolge war die kleine, aber auserlesene Zuhörerschaft von Rossinis neuem Meisterwerk überwältigt. 


Die Messe steht ihren äußeren Ausmaßen und auch dem Namen nach in der Tradition der Missa solemnis, wurde aber dennoch vom Komponisten ironisch mit dem Attribut petite („klein“) bedacht. Rossini schreibt dazu in einer Widmung: "Lieber Gott, hier ist sie, die arme kleine Messe. Ist es wirklich heilige Musik (musique sacrée) oder doch vermaledeite Musik (sacrée musique)? Ich bin für die Opera buffa geboren. Du weißt es wohl! Ein bisschen Können, ein bisschen Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gewähre mir das Paradies.“ 

Rossini wusste um das Unverständnis, mit dem damals vor allem von deutscher Seite den meisten italienischen geistlichen Werken begegnet wurde: Zu opernhaft, zu weltlich, zu sinnlich und damit dem ehrwürdigen Text gleichsam spottend. Eine Haltung, die nicht wahrhaben wollte, dass es auch eine andere Art von Kirchenmusik gibt, verwurzelt in anderer Tradition, deswegen aber nicht weniger ernsthaft als Musik zum Lobe Gottes gedacht. Das Werk trägt unverkennbar die Handschrift des Opernkomponisten, zeigt aber auch anhand der kunstvollen Fugen Rossinis intensive Beschäftigung mit Johann Sebastian Bach in seinen letzten Lebensjahren. Diese Stilmischung führte zu einer außergewöhnlichen Vertonung des Messtextes. Mit der Petite messe solennelle zieht Rossini an der Schwelle des Todes ein Fazit seines musikalischen Schaffens. Mit heiterer Traurigkeit tritt er vor seinen Schöpfer wie vor sein Publikum: „Ich habe nicht mit Dissonanzen gespart, aber ich habe auch etwas Zucker hinein getan.“

Die kleine Besetzung erweiterte Rossini 1867 selbst zu einer Fassung für Chor und großes Orchester - eigentlich nur, um fremden Bearbeitern zuvorzukommen, wie er selbst bekennt, denn: „Findet man die Messe nun in meinem Nachlass, so kommt Herr Sax mit seinen Saxophonen oder Herr Berlioz mit anderen Riesen des modernen Orchesters, wollen damit meine Messe instrumentieren und schlagen mir meine paar Singstimmen tot, wobei sie auch mich glücklich umbringen würden.“ Beide Fassungen Rossinis existieren seitdem mit je eigenen Vorzügen gleichberechtigt nebeneinander.

Der Komponist Giacomo Meyerbeer schrieb am Tag nach der Uraufführung an Rossini: „An den Jupiter Rossini. Göttlicher Meister! Ich kann den Tag nicht vorbeigehen lassen, ohne Ihnen nochmals für das riesige Vergnügen zu danken, das Sie mir dadurch verschafft haben, dass ich Ihre herrliche neue Schöpfung zweimal hören durfte. Der Himmel möge Sie bis zum 100. Jahr bewahren, damit Sie wieder so ein ähnliches Meisterwerk schaffen können, und Gott möge mir ein ähnliches Alter gewähren, damit ich diese neuen Aspekte Ihres unsterblichen Genies hören und bewundern kann!“

Zwei Aufführungen (in der kleinen Besetzung mit Klavier und Harmonium und in der Fassung mit Orchester) empfehle ich Ihnen heute sehr gerne. Der erste Mitschnitt kommt aus dem Concertgebouw Amsterdam mit dem Groot Omroepkoor unter der Leitung von Leonardo Garcia Alarcón. Als Solisten wirkten am 17. April 2016 mit:

Mariangela Sicilia (Sopran), Diana Haller (Mezzosopran), Philippe Talbot (Tenor)  Nikolay Borchev (Bass) sowie Wyneke Jordans (Klavier), Leo van Doeselaar (Klavier) und Dirk Luijmes (Harmonium):

www.youtube.com/watch

Mit großer Freude erinnere ich mich an einen Konzertbesuch im Leipziger Gewandhaus am 6. November 2008. Riccardo Chailly dirigierte das Gewandhausorchester in der Orchesterfassung von Rossinis Petite Messe solennelle, es sangen Alexandrina Pendatchanska (Sopran), Manuela Custer (Alt), Stefano Secco (Tenor), Mirco Palazzi (Bass) sowie der Gewandhauschor und der Chor der Oper Leipzig:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Urlaubsgrüßen aus Potsdam

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler