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10.09.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 223

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

wer zuletzt lacht... - so könnte das heutige Motto lauten. Giuseppe Verdi stellte sich im Alter die Frage, wie er seine Karriere als Opernkomponist beenden sollte. Fest stand: Es sollte kein tragisches Stück sein, und so wurde „Falstaff“ zu seinem letzten Bühnenwerk - ein finales Lachen über diese Welt.


Schon 1880, sieben Jahre vor der "Otello"-Premiere, hatte Giuseppina Verdi ihrem Mann geschrieben: „In Deiner Kunst kannst Du - abgesehen von einer opera comique - nicht höher steigen.“ Nach "Otello" kümmerte sich Verdi erst einmal um das Krankenhaus für seine Bauern und die Casa di riposo - das Altersheim für Musiker, das er als sein „schönstes Werk“ ansah. Aber Arrigo Boito, Librettist des "Otello", ließ nicht locker. 1890 köderte er ihn mit dem Entwurf zu "Falstaff". Verdi reagierte unsicher: „Haben Sie an die enorme Zahl meiner Jahre gedacht?“ 1889 gelang es Boito, Verdi zu überzeugen: „Es gibt nur einen Weg, noch besser Schluss zu machen als mit "Otello", nämlich siegreich mit "Falstaff" zu enden. Nachdem Sie alle Schreie und Klagen des Menschenherzens ertönen ließen, mit einem Ausbruch von Heiterkeit abzuschließen.“ Nach kurzem Zögern erhielt der Dichter, der selbst ein versierter Komponist war, die Antwort des Maestro: „Amen, so möge es geschehen! Machen wir "Falstaff"!“

„Falstaff“ beruht überwiegend auf Shakespeares „Die lustigen Weibern von Windsor“ - eine Komödie, aus deren Grundzügen sich allerdings ebenso gut eine Tragödie machen ließe, so wie fast alle Opern Verdis Tragödien sind. Deren Muster besteht darin, dass ein Einzelner sich gegen die Mehrheit behaupten muss, in diesem Fall Sir John Falstaff, der unangepasste und unzeitgemäße Ritter. 

Die Handlung in Kürze, in ausführlicher Form ist sie am Ende dieser Ausgabe zu finden: Sir John Falstaff, der enorme, immense Falstaff, wie er sich selbst begeistert nennt, ist in Schwierigkeiten. Sein Bauch, sein größter Stolz, Synonym seiner Stattlichkeit, braucht dauernde Pflege in Form von überreicher Zufuhr an Speisen und Getränken. Aus ebendiesem Grund aber sind seine Mittel erschöpft. Falstaffs Schläue soll Abhilfe schaffen, gepaart mit seiner Pracht als Mann: Er verfasst gleichlautende Liebesbriefe an Mrs. Alice Ford und Mrs. Meg Page, um mit den Herzen der Damen die Vermögen von deren Ehemännern zu erobern. Allerdings sind die beiden Damen dem großspurigen Galan überlegen, die Komödie nimmt ihren Lauf.

Ein Außenseiter hat eine geschlossene Gesellschaft herausgefordert, und die hat sich an ihm gerächt, hat es ihm in einer Verkleidungs- und Verstellungsorgie ohnegleichen heimgezahlt, ihm eine exorzistische Walpurgisnacht bereitet. Und doch bleibt Falstaff nur scheinbar unterlegen - am Ende gibt es keine eindeutigen Sieger und Besiegten. Das Fazit aus Verdis und Boitos Theaterwelt: Wo immer Menschen zusammentreffen und Einzelne mit einer Mehrheit in Konflikt geraten, sind sie einer unglücklichen und einer glücklichen Wendung der Dinge, sind sie einem tragischen und einem burlesken Ausgang gleich nahe. 

Verdis "Falstaff" ist eine echte Ensembleoper; zwischen Slapstick und Tiefsinn, Ironie und Philosophie bietet Verdis musikalisches Welttheater alles. Verdis letzte Oper gipfelt in der Schlussfuge "Alles ist Spaß auf Erden". Zu dieser Einsicht kommt der feiste Ritter Falstaff, nachdem er auf die listigen Weiber von Windsor hereingefallen ist - und sogar in einem Waschkorb in der Themse landen musste. Wer zuletzt lacht...

Dass auch eine konzertante Aufführung einer Oper einen hohen Reiz hat, habe ich oftmals schon in Konzerten der Berliner Philharmoniker erleben dürfen. Und so möchte ich Ihnen heute auch zunächst eine solche konzertante Aufführung mit dem Chor und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Daniel Harding empfehlen - zumal die Titelrolle mit dem walisischen Bariton Bryn Terfel besetzt ist. Ihm gelingt hier der trinkfreudige und schlitzohrige Lebemann, der von einer Erniedrigung zur nächsten eilt, in einer furiosen Interpretation, die seinem Ruf als aktuell einem der besten Falstaff-Interpreten gerecht wird.

In der Aufführung vom 20. Januar 2017 in der Münchner Philharmonie singen außerdem Christopher Maltman (Ford), Martin Mitterrutzner (Fenton), Mikeldi Atxalandabaso (Dr. Cajus), Alasdair Elliott (Bardolfo), Mario Luperi (Pistola), Barbara Frittoli (Alice Ford), Laura Giordano (Nannetta), Judit Kutasi (Mrs. Quickly) und Laura Polverelli (Meg Page):

www.youtube.com/watch

Wer Verdis letzte Oper mit Bühnenbild erleben möchte, dem empfehle ich die sehr traditionelle Inszenierung von Ronald Eyre im Londoner Royal Opera House Covent Garden aus dem Jahr 1982. Carlo Maria Giulini dirigierte nach über zehnjähriger Pause erstmals wieder eine Oper und die Besetzung war prominent besetzt: Renato Bruson (Falstaff), Katia Ricciarelli (Alice Ford), Leo Nucci (Ford), Brenda Boozer (Meg Page), Lucia Valentina-Terrani (Mrs. Quickly), Barbara Hendricks (Nannetta), 

Dalmacio Gonzales (Fenton), William Waldermann (Pistol), Francis Egerton (Bardolfo) und John Dobson (Dr. Cajus):
 

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Die Handlung

1. Akt, 1. Bild
Dr. Cajus erhebt schwere Vorwürfe: Falstaff habe wie ein Berserker an seinem Haus und Eigentum gewütet. Falstaffs Handlanger Bardolfo und Pistola hätten indessen ihn, den Doktor, betrunken gemacht und ihm die Taschen geleert. Während Falstaff bestätigt, er habe die fraglichen Schandtaten mit Vergnügen begangen, weisen die zwei anderen Beschuldigten die Vorwürfe zurück. Das genügt Falstaff, er entlässt den Doktor. Der schwört, künftig nur noch mit anständigen Leuten zu trinken.
Sir John hat dringende Geschäfte: Die leere Börse muss gefüllt werden, denn sein identitätsstiftender Bauch droht zu schrumpfen. Darum hat er an die beiden reichen Bürgersfrauen Alice Ford und Meg Page zwei gleichlautende Liebesbriefe verfasst. Hat er erst die Herzen der Damen gewonnen – dass das gelingen wird, steht für den stattlichen Sir außer Frage –, sollen sich in der Folge auch die Kassen der dazugehörigen Ehemänner öffnen. Doch Bardolfo und Pistola weigern sich, die Briefe zu überbringen. Das verbiete die Ehre. Falstaff platzt der Kragen: Mit wütenden Worten wider jenes Konstrukt namens Ehre jagt er Bardolfo und Pistola davon. Die Briefe lässt er anderweitig überbringen.

1. Akt, 2. Bild 
Alice Ford ist aufgeregt. Wenn sie wolle, erzählt sie ihrer Freundin Meg Page, könne sie eine Adelige werden. Sie auch, entgegnet die Angesprochene. Jede der Frauen zeigt nun einen Brief: Es sind die Briefe Falstaffs, der beiden seine Liebe anbietet und um Antwort bittet. Die Frauen sind empört, über die Anmaßung wie über den völlig gleichen Wortlaut der Briefe. Gemeinsam mit Mrs. Quickly und Alices Tochter Nannetta beschließen die beiden, Sir John einen Streich zu spielen. Mrs. Quickly soll ihm eine Einladung zu einem Stelldichein mit Alice überbringen. Folgt er der Einladung, werde man ihm einen Denkzettel verpassen.
Auch von anderer Seite droht Falstaff Ungemach: Dr. Cajus, Bardolfo, Pistola und der jungen Fenton bedrängen Alices Ehemann Ford mit Beschwerden über den zügellosen Sir John, Warnungen vor ihm und Angeboten, ihm das Handwerk zu legen. Pistola verrät Falstaffs Pläne. Ford schwört, er werde sich zu wehren wissen. Unter falschem Namen will er Falstaff aufsuchen und ihm eine Falle stellen.
Die Verliebten Fenton und Nannetta nutzen einen unbeobachteten Moment für romantische Bekenntnisse und verliebte Spiele.

2. Akt, 1. Bild
Bardolfo und Pistola kehren zum Schein in Falstaffs Dienste zurück und geben sich reumütig. Sir John nimmt sie gnädig wieder auf. Miss Quickly bittet um Audienz. Sie überbringt die Antworten der beiden Damen: Während Meg Page bedauert, ihrem eifersüchtigen Ehemann trotz großen Interesses an dem umfangreichen Sir nicht entkommen zu können, lädt Alice Ford zum Rendezvous zwischen zwei und drei Uhr. Dann nämlich sei ihr ebenfalls eifersüchtiger Ehemann außer Haus. Falstaff nimmt die Einladung an und entlässt die Botin.
Schon wird der nächste Besucher angekündigt: Ein Herr Fontana möchte unter Verweis auf eine mitgebrachte Weinflasche vorgelassen werden. Falstaff empfängt den Signor Fontana, der niemand anderer ist als der verkleidete Ford. Der trägt seinen angeblichen Kummer vor: Alice Ford, in die er verliebt sei, wolle ihn nicht erhören. Wenn nun Falstaff, ein Mann von Welt, Alice verführe, dann werde das vielleicht auch deren Widerstand gegen seine eigenen Avancen brechen. Der vermeintliche Fontana bietet Falstaff für seine Mühen einen Beutel Goldes an. Falstaff akzeptiert großmütig; als er erzählt, dass er bereits mit Alice verabredet sei, fällt der verkleidete Ford beinahe aus der Rolle. Während Falstaff sich für sein Rendezvous fein macht, rast Ford vor Zorn und Eifersucht.

2. Akt, 2. Bild 

Unter dem Gelächter der Frauen berichtet Mrs. Quicklys von ihrem Besuch bei Falstaff. Nur Nannetta will nicht in die Fröhlichkeit einstimmen: Ihr Vater, erzählt sie ihrer Mutter schluchzend, wolle sie mit dem alten Doktor Cajus verheiraten. Die Frauen sind empört über diesen Plan. Alice versichert Nannetta, sie müsse sich keine Sorgen machen. Zur Vorbereitung für die Rache an Falstaff wird ein großer Wäschekorb bereitgestellt.
Falstaff erscheint als Kavalier und macht Alice feurige Komplimente und fragwürdige Angebote. Die entzieht sich: Er liebe doch eigentlich Meg Page. Entrüstet weist Falstaff das zurück. Das Komplott läuft zunächst nach Plan: Falstaff kann sich gerade noch in ein Versteck flüchten, als Meg Page erscheint und Alice in gespielter Aufregung die Ankunft des wütenden Ehemannes ankündigt. Da schlägt Mrs. Quickly Alarm, denn Ford ist nun tatsächlich im Anmarsch, rasend vor Wut und in Begleitung von Bardolfo, Pistola, Dr. Cajus und Fenton. Mit Getöse durchsuchen die Männer das Haus nach Falstaff. Den Frauen gelingt es indessen, den Gesuchten im vorbereiteten Wäschekorb zu verstecken. Fenton und Nannetta verschwinden in demselben Versteck, in dem zuvor Falstaff verborgen war. Der Klang ihres Kusses ruft Ford auf den Plan. Im Glauben, Falstaff und seine Frau zu entdecken, stürmt er zusammen mit Cajus, Bardolfo und Pistola die Liebesszene. Als Fenton und Nannetta zum Vorschein kommen, wirft Ford Fenton wütend hinaus: Er habe ihm schon oft gesagt, dass er diese Verbindung nicht billige.
Während die Männer wieder auf die Suche gehen, kippen die Frauen mithilfe einiger Bediensteter den protestierenden Falstaff mitsamt der schmutzigen Wäsche in den Kanal.

3. Akt, 1. Bild 
Falstaff zieht bittere Bilanz über die Schlechtigkeit der Welt. Als er sich mit etwas Glühwein gestärkt hat, hebt sich seine Stimmung schnell wieder. Mrs. Quicklys Auftauchen erregt zunächst Falstaffs Zorn, sie aber beteuert die Unschuld Alices, schiebt das Unglück auf das Personal und überbringt die Einladung zu einem neuen Rendezvous. Um Mitternacht erwarte Alice Sir John im Park. Er möge in einem Kostüm kommen, das auf eine unheimliche alte Sage verweist. Während sich Falstaff und Mrs. Quickly für weitere Besprechungen zurückziehen, versammeln sich die Männer und Frauen um Alice. Sie arbeiten nun gemeinsam unter Alices Federführung an einem weiteren Streich, der Falstaff endgültig in seine Schranken weisen soll. Den eifrigen Ford weist Alice zurecht: Er habe wegen seiner Eifersucht eigentlich selber eine Strafe verdient.
Die schaurige Sage, so Alice, bilde das Ambiente für ihre Rache. Darum sollen sich alle Frauen verkleiden. Nannetta soll als Königin der Feen auftreten, außerdem will Alice weitere Verbündete in unheimlichen Kostümen mitbringen. Während die Frauen sich an die Vorbereitungen machen, gibt Ford Dr. Cajus heimlich Anweisungen: Am Ende des Streiches soll er in einem Kostüm die verkleidete Nannetta zu ihm, Ford, führen, dann werde er die beiden verheiraten. Die Männer bemerken allerdings nicht, dass sie von Mrs. Quickly belauscht werden.

3. Akt, 2. Bild
Alice unterbricht die Zweisamkeit der beiden jungen Verliebten; sie drängt Fenton, ein Kostüm überzuziehen – dasselbe, das auch Dr. Cajus trägt.
Falstaff trifft in Verkleidung ein. Er versucht, Alice mit Liebesreden zu betören, doch die gibt sich abgelenkt: Meg Page sei ihr auf den Fersen. Meg warnt aus dem Hintergrund vor den Geistern, die unterwegs seien. Der Auftritt der maskierten Gestalten raubt Falstaff die Fassung. Dr. Cajus ist auf der Suche nach Nannetta, die sich zusammen mit Fenton versteckt. Falstaff wird von der unheimlichen Gesellschaft eingekreist. Unter Beschimpfungen und Schlägen äußert er Reue für seine Taten. Ford, Alice und Mrs. Quickly lösen schließlich die Maskerade auf. Nachdem Falstaff die Fassung wiedererlangt hat, erklärt er, er sei zwar ein Esel gewesen, doch bringe seine Besonderheit erst die Würze in das Leben der Durchschnittsmenschen. Alle stimmen begeistert zu.
Ford kündigt die Hochzeit der Feenkönigin als Krönung der Veranstaltung an. Alice bittet ihn, noch ein zweites Paar zu verheiraten, und Ford erklärt sich einverstanden. Als am Ende der Zeremonie alle die Schleier und Masken lüften, ist Ford entsetzt: Er hat nicht nur Dr. Cajus und den zwischendurch heimlich verschleierten Bardolfo verheiratet, sondern auch Fenton und seine Tochter. Auf Bitten von Alice und Nannetta gibt er sich geschlagen und erteilt der Verbindung seinen Segen. Zum Schluss resümiert die Gesellschaft: Alles in der Welt ist Posse, alle werden geprellt. Alle Sterblichen verspotten einander; gut lacht, wer als Letzter lacht.

Beitrag von Matthias Wengler