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28.10.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 241

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

Robert Schumann als Opernkomponist? Vielen Musikfreunden ist gar nicht bekannt, dass der Komponist sich auch in diesem Genre versucht hat. Die Ouvertüre zu seiner einzigen Oper "Genoveva" ist zunächst unser heutiges Musikstück - und wer Lust bekommt auf die ganze Oper, findet am Ende dieser Ausgabe auch noch eine der seltenen Aufführungen dieses Meisterwerks.

"Lesen Sie doch einmal die Hebbel’sche Genoveva - in der Behandlung vieles Widerwärtige - aber doch ein herrlicher Stoff für Musik und Bühne." Diese Empfehlung, am 2. April 1847 von Robert Schumann an den Dichter Robert Reinick gerichtet, dokumentiert die Initialzündung zu Schumanns einzigem realisierten Opernprojekt, der Dramatisierung der Legende von der heiligen Genoveva. 

Der Stoff war im 19. Jahrhundert populär. Das Lesepublikum bezog seine Kenntnis davon vor allem aus mehreren Fassungen des entsprechenden Volksbuchs wie auch aus zahlreichen Bilddarstellungen. Neben dem erfolgreichen Bühnenautor Ernst Raupach hatten bereits Maler Müller und Ludwig Tieck den Stoff dramatisiert. Kurz bevor Schumann sich für ihn als Opernsujet entschied, plante auch Mendelssohn vorübergehend eine Genoveva-Oper. Schumann war erst Anfang 1847 auf den Dichter Friedrich Hebbel aufmerksam geworden. Seine moderne, psychologisierende Dramatisierung des Stoffes, die 1843 im Druck erschienen war, faszinierte ihn so, dass er den noch Ende März 1847 favorisierten Plan einer Oper über den Kosakenführer Mazeppa fallen ließ. Auch Mazeppa war keineswegs das erste Opernsujet, das Schumann ins Auge fasste. Zu den Stoffen, die er vor Genoveva in Betracht gezogen hatte, gehörten unter anderem die Nibelungen, Lohengrin und Tristan und Isolde.

Nach der kurzen Briefnotiz an Reinick wandte sich Schumann mit großer Energie dem neuen Opernprojekt zu. Fast gleichzeitig entstanden ein erstes Szenarium zur Opernhandlung und die Entwurfskizze der Ouvertüre. Diese blieb zunächst liegen. Erst kurz vor Weihnachten 1847 nahm sie Schumann wieder vor und arbeitete die Instrumentation aus. Dazwischen lag die Herstellung des Textbuchs, die Schumann Robert Reinick übertragen hatte. 

Dass ein Komponist zuerst die Ouvertüre und dann die Oper komponiert, ist eher ungewöhnlich. Schumann fiel es offenbar leichter, die Atmosphäre des Dramas in einem sinfonischen Tongemälde einzufangen, als in einer Folge gesungener Szenen. Nach der Oper komponierte Ouvertüren greifen häufig auf in ihr verwendete Melodien zurück. Da die Genoveva-Ouvertüre vor der Oper entstand, ist dies in ihr nur in geringem Maße der Fall. Dennoch ist die Kenntnis der Opernhandlung für das Verständnis der Ouvertüre nützlich: 

Am Beginn der Oper nimmt Pfalzgraf Siegfried Abschied von seiner Gemahlin Genoveva, um in den Krieg gegen die das Frankenreich bedrohenden Mauren zu ziehen. Er lässt Genoveva in der Obhut des jungen Golo zurück, der die schöne Frau jedoch begehrt. Im zweiten Akt vergisst sich Golo und gesteht Genoveva seine Liebe. Die weist seine Annäherung zurück, woraufhin Golos Liebe in Hass umschlägt. Mit Hilfe einer Intrige gelingt es ihm zu erreichen, dass Genoveva als angebliche Ehebrecherin in das Turmverlies des Schlosses geworfen wird. Erst am Ende der Oper kommt ihre Unschuld an den Tag. Sie wird kurz vor ihrer Hinrichtung gerettet und Siegfried und Genoveva erneuern ihren ehelichen Bund. 

Die Ouvertüre beginnt ganz opernfern mit einer langsamen Einleitung in düsterem Moll - eine Stimmung, die sich sowohl auf Golos Demütigung als auch auf das Martyrium der Genoveva beziehen lässt. Der Tonsprache dieses Anfangs ist Schumanns intensive Beschäftigung mit der Musik Bachs anzuhören. Am Ende der Ouvertüre sind die Barockanklänge endgültig vergessen. Rasante Streicherläufe und überschwänglich ausholende Gesten erinnern nun stattdessen an den Opernstil des von Schumann bewunderten Carl Maria von Weber. In dieser Weber-Manier endet die Ouvertüre dann auch, in festlichem Triumph das Happy-End der Oper vorwegnehmend.

Daniel Harding ist mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden im folgenden Link mit Schumanns "Genoveva"-Ouvertüre zu sehen, der Konzertmitschnitt entstand im Jahr 2010 in der Dresdner Frauenkirche:

www.youtube.com/watch

Schumanns Oper "Genoveva" wurde 2008 in der Inszenierung von Martin Kusej im Opernhaus Zürich aufgezeichnet. In den Hauptrollen sind Juliane Banse (Genoveva), Shawn Mathey (Golo), Martin Gantner (Siegfried) und Cornelia Kallisch (Margaretha) zu erleben, Chor und Orchester der Oper Zürich musizieren unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Hamburg

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler