Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
willkommen zur ersten Ausgabe im neuen Jahr 2022. Auf diesem Wege mein herzlicher Dank für alle guten Wünsche, die mich zu Weihnachten und zum Jahreswechsel erreicht haben - jeden einzelnen Gruß habe ich sehr gerne gelesen. Es ist nie falsch, mit Musik von Johann Sebastian Bach in ein neues Jahr zu starten - meine Wahl für die erste Ausgabe in diesem Jahr fällt auf das Italienische Konzert F-Dur BWV 971 und die Französische Ouvertüre h-Moll BWV 831.
1735, vier Jahre nach dem Ersten Teil der Klavierübung (sechs Cembalo-Suiten, „Partiten“ genannt), ließ Johann Sebastian Bach einen zweiten Teil folgen. Das Titelblatt der Publikation lautet: Zweiter Theil der Clavier Übung, bestehend in einem Concerto nach Italienischen Gusto und einer Overture nach Französischer Art, vor ein Clavicymbel mit zweyen Manualen. Denen Liebhabern zur Gemüths-Ergötzung verfertiget von Johann Sebastian Bach... - Man nennt die beiden Werke meist kurz „Italienisches Konzert“ und „Französische Ouvertüre“. Sie sind eigens für ein zweimanualiges Cembalo geschrieben. Gleichzeitig ist jede der beiden Kompositionen einer unterschiedlichen Orchestergattung nachgebildet. Da beide Kompositionen gleichsam Solofassungen orchestraler Musik sind, nehmen sie eine Sonderstellung in Bachs Oeuvre ein, auch wenn das ihrem Nutzen als Musterbeispiele für Schüler keinen Abbruch tut.
Bei seinem Dresden-Besuch im Jahr 1736 dürfte Bach neben der neuen Silbermann-Orgel in der Frauenkirche auch auf den verschiedenen Cembali in den Wohnungen seines Freundes und Gönners Hermann Graf von Keyserlingk und anderer Höflinge gespielt haben, die bei der Erlangung des Hoftitels vielleicht behilflich waren. Eine plausible Vermutung ist, dass Bach seine jüngste Veröffentlichung, den zweiten Teil der Klavierübung, mit nach Dresden gebracht hatte und dass er öffentlich oder in privatem Kreis daraus vorspielte. Es waren Stücke, die dem neuesten Dresdner Geschmack für die Vitalität der italienischen Musik und die französische Leichtigkeit entgegenkommen mussten, dies allerdings mit einer noch nie dagewesenen Detailversessenheit. Gleichwohl entspricht keines der beiden Werke den damals neuesten Trends in Frankreich oder Italien, vielmehr scheinen sie dem unbeschwerten Stil der zeitgenössischen italienischen und französischen Musik etwas entgegensetzen zu wollen. Außerdem liefert der Band zwei charakteristische Beispiele für Bachs zunehmende „Gründlichkeit“, das eine eher nebensächlich, das andere tiefgründig.
Mit dem Italienischen Konzert verbinde ich meinen ersten Besuch eines Klassik-Konzerts überhaupt. 14 Jahre alt war ich damals, meine Eltern und ich lebten in Helmstedt. Die musikbegeisterte Dame, die im Erdgeschoss ihren Kosmetik-Salon betrieb und nahezu täglich meine Fortschritte im 1. Stock miterleben musste, lud mich am 13. Februar 1985 zu einem Konzert in die Aula des Helmstedter Juleum ein. Erst viele Jahre später konnte ich einschätzen, was ich dort erlebte: einen Klavierabend auf Weltklasse-Niveau; der Pianist, der damals spielte, war András Schiff.
Weder kannte ich damals den Pianisten, noch die Stücke - und dass ein Pianist dieser Klasse seinerzeit in Helmstedt auftrat, war in erster Linie den Zononrand-Fördermitteln zu verdanken, von denen auch der Helmstedter Kulturverein profitierte: András Schiff, Hermann Prey, Barbara Hendricks, Radu Lupu und viele andere Klassikstars waren in den Siebziger und Achtziger Jahren in Helmstedt zu Gast.
Heute teile ich also gerne mit Ihnen das erste Stück, das ich im Konzertsaal live erlebt habe - und natürlich ist auch in dieser Ausgabe András Schiff der Interpret. Am 11. Juni 2010 spielte er im Rahmen des Leipziger Bach-Festes in der Evangelisch-Reformierten Kirche das Italienische Konzert und die Französische Ouvertüre:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler