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14.02.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten - 287

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

„das mache ich mit links!“ - keine Redensart ist besser geeignet für unser heutiges Musikstück: Das Klavierkonzert D-Dur für die linke Hand von Maurice Ravel.
 
1929 schreibt Maurice Ravel gerade ein Klavierkonzert nach herkömmlichem Muster, als ihn aus Österreich eine Anfrage erreicht, ob er nicht auch ein Klavierkonzert für die linke Hand komponieren wolle. Absender ist der Pianist Paul Wittgenstein, der im Ersten Weltkrieg seinen rechten Arm verloren hatte. Ravel sagt zu - beide Klavierkonzerte sind zugleich Ravels letzte Instrumentalwerke. Das knapp 20 Minuten lange D-Dur-Konzert ist das eindrücklichere. "Das Konzert für die linke Hand ist anders geartet und in einem einzigen Satz mit vielen Jazz-Effekten", beschrieb Ravel seine Arbeit. "Der Stil ist nicht so einfach. In einem Werk dieser Art besteht das Wesentliche darin, dass man nicht den Eindruck eines leichten Klanggewebes erweckt, sondern im Gegenteil die Illusion gewinnt, es sei für beide Hände geschrieben. Auch wählte ich hier einen viel imposanteren Stil, wie ihn das traditionelle Konzert liebt."
 
In diesem Konzert lassen sich zwei Abschnitte ausmachen. Der erste beinhaltet den von Ravel beschriebenen „imposanten" Charakter: streng punktierte Orchesterakkorde. Doch der einleitende Beginn des Werkes ist dunkel gehalten - dass Ravel hier die mittelbar erlebten Schrecken der Weltkriegszeit (der Tod von Freunden und der Mutter) verarbeitete, ist offensichtlich. Das Klavier beginnt etwas später mit einer ebenso düsteren Solokadenz. Der zweite Teil führt dann die ebenfalls von Ravel erwähnten Jazzelemente ein und stellt alle Mitwirkenden vor große Herausforderungen, indem er Themen und sogar gegenläufige Rhythmen übereinander schichtet. Der Schluss ist im scheinbar strahlenden D-Dur gestaltet - ein geradezu brutaler Marsch erklingt, und das Konzert endet abrupt, zerstörerisch, gewaltsam in nur fünf Takten und mit einem rohen Posaunenglissando, das an das katastrophische Finale von Ravels „La Valse“ erinnert.
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Die Herausforderung, mit der linken Hand immer wieder auch in die hohen Lagen zu springen, ist immens. Dieses Konzert gilt deshalb stets auch als Bravourstück für alle Pianisten, die sonst beide Hände einzusetzen gewohnt sind. Die öffentliche Premiere in Wien mit Wittgenstein am Klavier besaß Katastrophen-Potenzial. Man hatte für Ravel eine Soirée organisiert, bei der Wittgenstein als Solist und Ravel als „Orchester“ am zweiten Klavier das Werk vortragen sollten. Wittgenstein jedoch hatte, da er mit der Komposition unzufrieden war, eigenmächtig eine Reihe von Veränderungen eingefügt. Diese wiederum brachten Ravel auf die Palme. Nach diesem Konzert am 5. Januar 1932 kam es zum Eklat. Ravel raunzte: „Aber das stimmt doch alles gar nicht!“ Wittgenstein erwiderte, Interpreten dürften nicht zu Sklaven degradiert werden. Es kam zu einem ausgiebigen Briefwechsel, dessen prägnantester Satz von Ravel stammt: „Interpreten sind Sklaven!“ 

Paul Wittgenstein (1887-1961) stammte aus einer wohlhabenden Wiener Dynastie; sein Bruder war der Philosoph Ludwig Wittgenstein. Er konnte es sich leisten, neue Werke bei den bekanntesten Komponisten seiner Zeit in Auftrag zu geben. Unter den Stücken, die eigens für Wittgenstein komponiert wurden, konnte sich jedoch nur das D-Dur-Klavierkonzert von Maurice Ravel einen dauerhaften Platz im Repertoire erobern; andere Werke dieser Reihe werden erst nach und nach als pianistische Herausforderungen entdeckt. Neben Maurice Ravel haben u. a. Benjamin Britten, Erich Wolfgang Korngold, Sergej Prokofjew, Franz Schmidt und Richard Strauss Klavierkonzerte für die linke Hand geschrieben.
 
Dass sich diese Aufzählung wie ein Who’s Who der Komponisten zwischen den Weltkriegen liest, ist dem großen Ehrgeiz Wittgensteins zuzuschreiben, zu dessen weiteren Eigenheiten es allerdings gehörte, diese Werke eigenmächtig zu verändern oder gar nicht erst aufzuführen. Der Grund: Wittgenstein war musikalisch eher konservativ gesinnt und wurde erst durch seine tragische Verwundung zu einem musikalischen Pionier. Vermutlich hätte dieser Avantgardist wider Willen lieber die großen Klavierwerke von Beethoven bis Brahms gespielt, als sich mit Ravel und Prokofjew herumzuschlagen. Wie lange es bis zur Uraufführung dauern kann, zeigt das Beispiel Paul Hindemith: 1923 erfüllte der Komponist Wittgensteins Wunsch nach einem Klavierkonzert für die linke Hand. Der Pianist, der auch mit diesem Werk nicht zufrieden war, führte das Werk jedoch nicht auf, behielt aber das Recht der Uraufführung. Gespielt hat er es nie; erst über 80 Jahre später folgte 2004 nach der überraschenden Entdeckung der Partitur 2002 die Uraufführung, bei der ich dabei sein konnte. Solist war Leon Fleisher, die Berliner Philharmoniker spielten unter der Leitung von Sir Simon Rattle.
 
Nun aber zu Ravels Klavierkonzert für die linke Hand: Yuja Wang spielte das Werk gemeinsam im Juni 2016 in Rom mit dem Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Lionel Bringuier:
 
www.youtube.com/watch

Beitrag von NR