Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
wie bereits angekündigt ist die heutige Ausgabe der Sinfonie Nr. 3 F-Dur op. 90 von Johannes Brahms gewidmet. Der dritte Satz ist mit einem kuriosen Erlebnis im Rahmen der Domkonzerte Königslutter verbunden, viele Jahre ist das nun schon her. Der Pantomime Elie Levy ließ zu dieser Musik dort Seifenblasen aufsteigen, die über dem Grab von Kaiser Lothar zerplatzten...
Über die Entstehung dieser Sinfonie wissen wir buchstäblich nichts. Brahms war ein leidenschaftlicher Briefeschreiber und hat - oft mit viel Humor - seinen Freunden geschrieben, was ihn gerade bewegte. Nicht allerdings, was seine Kompositionen betrifft, da hielt er sich bedeckt. Über die dritte Sinfonie findet man kein einziges Wort in seinem Briefwechsel. Genauso wenig gibt es kompositorische Skizzen. Das einzige, was wir sicher wissen, ist, wann Brahms die Sinfonie fertiggestellt hat: in den Sommerferien 1883 in Wiesbaden. Brahms war damals 50 Jahre alt und ein bisschen verliebt in eine wesentlich jüngere Frau.
Die Sinfonie beginnt mit einem Täuschungsmanöver. Sie gibt vor, als sei sie unschlüssig, wie sie eigentlich anfangen soll. In Wahrheit ist der Anfang genau geplant: zwei Bläserakkorde, dann, beim dritten Bläserakkord steigen die Streicher mit einem leidenschaftlichen Thema ein.
Die Täuschungstaktik liegt in der Harmonik: Brahms spielt hier mit der Ambivalenz der Tonarten und setzt F-Dur gegen f-Moll. Der erste Akkord ist ein reiner F-Dur-Dreiklang; F-Dur ist die traditionelle Tonart der Idylle, des intakten Landlebens, der Hirtenszenen; Brahms kennt als musikgeschichtlich versierter Komponist diesen Hintergrund. Im zweiten Takt trübt er die Harmonik ein in einen f-Moll-Septakkord – ein krasser Gegensatz zwischen Dur und Moll, zwischen Konsonanz und Dissonanz, zwischen Idyll-Tonart und Schmerzenston (denn f-Moll ist die klassische Tonart der Klage, der Schatten, der Unterwelt). Mit dem plötzlichen Auftreten von f-Moll legt Brahms also einen Schatten auf die Idylle, entwirft eine finstere Gegenwelt. Der nächste Takt wendet sich wieder zu F-Dur. Dieses Changieren zwischen den Tonarten, speziell zwischen Dur und Moll, ist ein Kennzeichen der ganzen Sinfonie. Immer wieder gibt es darin überraschende harmonische Wendungen. Im weiteren Verlauf des Kopfsatzes kommt es zu starken Kontrastwirkungen und machtvollen Steigerungen. Ein schmerzlicher Grundton ist unverkennbar, melancholisch klingt der Satz aus.
Das schwerelos strömende Andante des zweiten Satzes lässt mit seinem liedartigen Hauptthema alle Dramatik des Kopfsatzes vergessen. Mit einfallsreicher Variation und Umspielung führt Brahms das Thema fort, ergänzt es mit einem auftaktigen Seitenthema der Holzbläser und entführt in eine Stimmung selbstvergessener Weltferne. Der dritte Satz wirkt wie ein melancholisches Intermezzo und lässt nur in seiner dreiteiligen Form an vergleichbare Scherzo-Sätze denken. Insgesamt herrscht hier eine entspannte Gelassenheit, die höchst kunstvoll in Szene gesetzt ist. Mit unvergleichlich aufgeladener Dramatik folgt der Finalsatz. Scheinbar harmlos, aber mit unterschwellig spürbarer Spannung, eröffnen ihn Streicher und Fagott mit Unisono geführten Sekundschritten. Ein kurzes choralartiges Innehalten - und es bricht eine scharf akzentuierte Leidenschaft los, die über weite Teile den Charakter des Satzes bestimmt. Entgegen der aufgebauten Erwartung klingt er aber ohne heroische Geste in gelöster Stimmung aus.
Kritik und Musikerkollegen lobten die Sinfonie fast einhellig als das Beste, was Brahms bisher geschaffen hatte. Für den damaligen "Papst" der Musikkritik, Eduard Hanslick, übertraf Brahms mit seiner Dritten seine ersten beiden Sinfonien. Er schrieb in seiner Besprechung: "Sie ist gedrungener in der Form, durchsichtiger im Detail, plastischer in den Hauptmotiven. Die Instrumentierung ist reicher an neuen reizenden Farbenmischungen als die früheren."
Noch vor der Uraufführung spielte Brahms die dritte Sinfonie seinem Freund Antonín Dvorák am Klavier vor. Dvorák war begeistert und schrieb an den Verleger Fritz Simrock: „Ich sage und übertreibe nicht, dass dieses Werk seine beiden ersten Sinfonien überragt; wenn auch nicht vielleicht an Größe und mächtiger Konzentration - so aber gewiß an - Schönheit! Es ist eine Stimmung drin, wie man sie bei Brahms nicht oft findet! Welch herrliche Melodien sind da zu finden! Es ist lauter Liebe und das Herz geht einem dabei auf. Denken Sie an meine Worte und wenn Sie die Sinfonie hören, werden Sie sagen, dass ich gut gehört habe.“
Am vergangenen Freitagabend dirigierte Herbert Blomstedt die Berliner Philharmoniker. Hier ist er in einem Mitschnitt mit dem Concertgebouworkest Amsterdam vom 16. Januar 2014 zu erleben (die Sinfonie beginnt bei 17:50, eine Einführung in das Werk beginnt ab 7:50):
Im Februar 1981 startete Leonard Bernstein mit den Wiener Philharmonikern seinen Brahms-Zyklus im Musikverein:
Und zuletzt: Das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Günter Wand in der Laeiszhalle, aufgezeichnet am 6. Oktober 1985. Die Zeiten ändern sich - die Laeiszhalle hieß damals noch Musikhalle und das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte noch unter dem Namen NDR-Sinfonieorchester:
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler