Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
heute fällt meine Wahl wieder einmal auf ein Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven: sein Opus 19 ist sein zweites Klavierkonzert, obwohl es eigentlich das erste ist. Er komponiert es bereits 1790 als junger Mann in Bonn und nimmt es mit nach Wien, wo er es bis zur Veröffentlichung 1801 immer wieder umarbeitet.
Das Konzertpodium ist Beethovens Zuhause, als Pianist begeistert er das Publikum und schreibt sich selbst die Musik dafür. Bereits als 14-jähriger steht er als Cembalist und Organist im Dienst der Bonner Hofkapelle und versucht, ein Klavierkonzert zu komponieren. Doch es fehlt ihm noch an praktischer Orchestererfahrung. Die sammelt er ab 1788 als Bratscher in der kurfürstlichen Instrumentalmusik, so dass er zwei Jahre später die erste Version seines B-Dur-Klavierkonzertes beenden kann.
Es sind Beethovens Fähigkeiten als Virtuose, die ihm nach seinem Umzug nach Wien Zugang zu den höchsten Kreisen verschaffen. Vor allem seine Improvisationen versetzen das Publikum in Staunen; auch den Solopart seiner Klavierkonzerte improvisiert er. Als er sich in Wien dem Publikum mit seinem B-Dur-Klavierkonzert präsentiert, arbeitet er das Werk um, 1794 komponiert er sogar einen komplett neuen Schlusssatz.
1801 finden schließlich die ersten beiden Klavierkonzerte Beethovens ihren Weg zum Drucker. Zunächst bringt der Wiener Verleger Tranquillo Mollo das C-Dur-Konzert als Nr. 1 heraus (Opus 15); im Dezember desselben Jahres folgt Franz Anton Hoffmeister mit dem B-dur-Konzert, das in Wien und Leipzig als Nr. 2 mit der Opuszahl 19 erschien. Die spätere Veröffentlichung erklärt also die höhere Opuszahl.
Ein Entwicklungsunterschied ist zwischen den beiden ersten Klavierkonzerten nicht zu erkennen. Einzig die Besetzung des früher begonnenen B-Dur-Werkes signalisiert einen bescheideneren Anspruch: Verglichen mit dem C-Dur-Konzert fehlen im B-Dur-Konzert Klarinetten, Trompeten und Pauken. Gleichwohl überrascht schon das B-Dur-Konzert in der Orchestereinleitung des ersten Satzes mit Ausflügen in weit entfernte Tonarten, die den Hörer in eine leise Episode von geradezu mystischer Stimmung entführen. Die virtuosen Geläufigkeiten konzentrieren sich wie im ersten Konzert gegen Ende des ersten Solos und bewirken eine Schlusssteigerung, die Beethoven kurz vor ihrem Höhepunkt unterbricht, indem er eine unbedeutende Floskel des Klaviers plötzlich verlangsamt vortragen lässt.
Wie im C-Dur-Klavierkonzert komponiert Beethoven hier einen zweiten Satz von getragenem Ernst. Zu diesem trägt auch das betont langsame Zeitmaß bei. Die Tempoangabe Adagio signalisiert schon hier wie in vielen späteren Werken den Anspruch, tiefe und bedeutende Gefühle zu gestalten. Das Hauptthema des Finales erinnert ein wenig an das Lied „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“. Doch dieser Kuckuck betont seinen Ruf gegen den Takt und bietet so ein Beispiel für Beethovens Vorliebe für witzig-verquere Rhythmen.
Drei Konzertmitschnitte stehen wieder zur Auswahl, zunächst Martha Argerich und das West Eastern Divan Orchestra unter der Leitung von Daniel Barenboim, aufgezeichnet 2015 im Teatro Colón in Buenos Aires - die Zugabe ist "El bailecito" von Carlos Guastavino:
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Vladimir Ashkenazy spielte das B-Dur-Konzert 1974 in der Londoner Royal Festival Hall mit dem London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Bernard Haitink:
www.youtube.com/watch
Und zum Schluss eine Pianistin, die sich vor wenigen Jahren offiziell vom Konzertpodium verabschiedet hat, sich hin und wieder aber noch einmal zur Rückkehr überreden lässt - erst in der vergangenen Woche spielte sie mit Martha Argerich in einem umjubelten Konzert in Hamburg: Maria Joao Pires mit dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Riccardo Chailly, aufgezeichnet 2012 in der Pariser Salle Pleyel:
www.youtube.com/watch
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler