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29.06.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 192

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

ein nur zehnminütiges Schlüsselwerk der Musikgeschichte, das bereits deutlich in die Musik des 20. Jahrhunderts weist, möchte ich Ihnen heute vorstellen: Claude Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune (Vorspiel am Nachmittag eines Fauns).


Als der französische Schriftsteller Stéphane Mallarmé 1876 sein elf Jahre zuvor entstandenes Gedicht „L’après-midi d’un faune“ veröffentlichte, fand es so gut wie keine Beachtung. Dennoch wurde Claude Debussy auf das in kunstvoll-musikalischer Sprache verfasste Lyrikwerk durch eine Rezension von Theodor de Wyzewas in der symbolistischen Zeitschrift „La Vogue“ aufmerksam und war sofort von der Ausdruckskraft und der verwendeten Symbolik hingerissen. Trotzdem kam ihm zunächst nicht der Gedanke, das Gedicht zu vertonen. Erst die Ankündigung einer Lesung mit Werken Mallarmés am 27. Februar 1891 brachte ihn auf die Idee, eine passende Begleitmusik zu komponieren. Am Ende dieser Arbeit stand sein berühmtes Prélude à l’après-midi d’un faune.


Zu einer Vollendung der Komposition sollte es jedoch zunächst nicht kommen. Denn nachdem Debussy sich an die Arbeit gemacht und Ende des Jahren 1890 sogar erste Skizzen des Werkes fertiggestellt hatte, wurde die Lesung abgesagt, was bedeutete, dass er mangels eines Kompositionsanlasses die Arbeit an der Musik einstellte. Erst nachdem ein Jahr vergangen war, entschied er sich, die Arbeit wieder aufzunehmen, plante dann aber, sein Vorhaben deutlich zu erweitern. So sollte aus der einstigen Begleitmusik schließlich eine dreiteilige Suite mit dem Titel „Prélude, Interlude et Paraphrase finale sur l’après-midi d’un faune“ entstehen. Doch auch dieses Vorhaben gab Debussy wieder auf, seine Gründe dafür liegen bis heute im Dunkeln.

Doch noch bevor er den Plan mit der dreiteiligen Suite aufgab, hatte Debussy eine vorläufige Version des ersten Teils komponiert, die er zwischen 1893 und 1894 zunächst im Freundeskreis und später Stéphane Mallarmé vorspielte, der sich begeistert zeigte. Noch bis zur Uraufführung des Werks, die für den 22. Dezember 1894 in der Société Nationale de Musique in Paris geplant war, arbeitet Debussy akribisch an dem Werk und nahm noch während der Proben Veränderungen vor. Zeit für eine Namensänderung blieb da scheinbar nicht mehr, sodass die Komposition schlicht den Titel des ersten Teils der Suite behielt.

Was die Zuschauer schließlich an jenem Dezembertag in Paris zu hören bekamen, sollte die Musikgeschichte an einen Scheitelpunkt bringen. Debussy war mit seiner sinfonischen Dichtung ein Meilenstein des musikalischen Impressionismus gelungen. Das Publikum reagierte begeistert, schließlich wurden sie Zeugen davon, was heute im Allgemeinen als Wendung der Musik hin zur musikalischen Moderne verstanden wird. Auch Mallarmé war hingerissen, der anschließend in einem Brief an Debussy schrieb: „Ihre Illustrierung des „Après-midi d’un Faune“ bildet keine Dissonanz zu meinem Text, sie übertrifft ihn wahrlich eher an Sehnsucht, und an Licht, mit ihrer Feinheit, ihrer Schwermut, ihrem Reichtum.“ Die anwesenden Vertreter der Presse und Komponistenkollegen hingegen reagierten zunächst verhalten. So urteilte Camille Saint-Saëns, dass Debussy keinen neuen Stil erschaffen, sondern lediglich das Fehlen von Stil und Logik kultiviert hätte. Doch seinem Erfolg sollte jene Kritik keinen Abbruch tun. Das Prélude à l’après-midi d’un faune bescherte Debussy seinen internationalen Durchbruch als Komponist.

Insgesamt ist das Instrumentalwerk, von dem Debussy zunächst selbst behauptete, es wäre lediglich von der Literaturvorlage inspiriert und würde keinesfalls narrativen Charakter aufweisen, nur 110 Takte lang und mit einer Aufführungsdauer von knapp zehn Minuten relativ kurz. „Die Musik dieses Préludes verbildlicht auf eine sehr freie Weise Mallarmés Gedicht; sie will es eigentlich gar nicht nacherzählen“, erläutere Debussy dazu später. Etwas prosaischer bedeutete der Komponist einem Dirigenten, der im Hinblick auf die Interpretation um eine genauere Erläuterung gebeten hatte: „Es geht um einen Schäfer, der Flöte spielt und dabei mit seinem Hintern im Gras sitzt.“ - eine andere Art zu sagen, dass ihm die erzeugte Atmosphäre wichtiger war als die sklavische Nachahmung des Gedichts. Dass sich die moderne Tonsprache der Komposition jedoch ideal als narrative Basis für Tanztheaterproduktionen eignet, bemerkte auch der russische Balletttänzer und Choreograf Vaslav Nijinsky, dessen gleichnamiges Ballett ebenfalls zum Meilenstein der künstlerischen Moderne wurde.

1998 dirigierte Georges Prêtre das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart in der Liederhalle, den Mitschnitt können Sie im folgenden Link sehen:

www.youtube.com/watch

Die Choreographie von Vaslav Nijinsky ist hier in einem Mitschnitt aus der Pariser Oper zu sehen, die Rolle des Faun tanzt Nicholas de Riche, es spielt das Orchester der Pariser Oper unter der Leitung von Kevin Rhodes:


www.youtube.com/watch

Eine Fassung für zwei Klaviere existiert ebenfalls; Martha Argerich und Stephen Kovacevich spielten Debussys Meisterwerk am 17. Oktober 2016 in der Pariser Philharmonie:

www.youtube.com/watch

Und wer noch etwas mehr Zeit investieren möchte, kann hier Georges Prêtre und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart bei den Proben zum o. g. Konzertmitschnitt zusehen:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler