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07.02.2022 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten - 284

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,

Franz Schuberts "Unvollendete" und die "Große" C-Dur-Sinfonie (je nach Zählweise die Nr. 7 und 8 bzw. 8 und 9) zählen zu Recht zu den häufig aufgeführten Werken. Aber was ist mit den Sinfonien, die davor entstanden? Von Schuberts frühen Sinfonien, die nur selten im Konzertsaal erklingen, ist mir seit vielen Jahren eine besonders ans Herz gewachsen: Die Sinfonie Nr. 2 B-Dur D 125.

Diese Jugendsinfonie entstand in den Jahren 1814/1815 als der 18-jährige Komponist als Schulgehilfe seines Vaters tätig war. Die erste wirklich öffentliche Aufführung der Sinfonie fand erst 49 Jahre nach Schuberts Tod im Jahre 1877 in London statt. Antonín Dvořák war zu seiner Zeit einer der wenigen Bewunderer der frühen Sinfonien Schuberts. Er lobte den „Charakter der Melodien“ und die „vielen exquisiten Details der Orchestrierung“.
 
Die interessante Mischung aus Verankerung in der Tradition der großen Meister und dem Experimentieren mit neuartigen Lösungen im Detail (die schon manches von Schuberts Personalstil der Reifezeit vorwegnehmen) lässt sich an diesem Werk bestens studieren. Was die Besetzung des Orchesters, die viersätzige Anlage des Werkes und die Form der einzelnen Sätze betrifft - Kopfsatz und Finale sind als Sonatenform gestaltet, der langsame Satz an zweiter Stelle als Variationsfolge und der Dritte als Menuett mit kontrastierendem Trio-Abschnitt -, wählt Schubert vollkommen zeittypische Lösungen. Über solche geht er hingegen im Hinblick auf die zeitlich-räumliche Weitung der Gesamtanlage hinaus: Der erste Satz etwa ist mit 614 Takten länger als jeder andere Kopfsatz Schuberts außer in der "Großen" C-Dur-Sinfonie, und selbst in Beethovens Œuvre wird er nur von denjenigen der "Eroica" und der (damals noch gar nicht existierenden) Neunten übertroffen. Daneben sprengt Schubert aber ebenso auch die herkömmliche harmonische Konzeption einer klassischen Sinfonie.
 
Es ist wahrscheinlich, wenn auch nicht zu belegen, dass Franz Schubert seine zweite Sinfonie wenigstens im privaten oder halböffentlichen Rahmen zur Aufführung bringen konnte: entweder mit dem Orchester des Wiener Stadtkonvikts - er hatte die angesehene Lehranstalt erst ein Jahr vor Beginn der Arbeit an seiner B-Dur-Sinfonie verlassen und widmete die Komposition dem Institutsdirektor Innozenz Lang - oder mit jenem Liebhaber-Orchester, in welchem er in der zweiten Hälfte der 1810-er Jahre Bratsche spielte. Öffentlich erklang das Werk jedoch erst ein halbes Jahrhundert nach Schuberts Tod, am 20. Oktober 1877 in London mit dem Crystal Palace Orchestra unter der Leitung von August Manns. 
 
Unser heutiger Konzertmitschnitt kommt wieder einmal aus Frankfurt: Das hr-Sinfonieorchester spielte unter der Leitung von Andrés Oroczo-Estrada Schuberts zweite Sinfonie am 5. April 2019 in der Alten Oper:
 
www.youtube.com/watch

Beitrag von NR