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20.01.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 125

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

zu den populärsten Stücken von George Gershwin zählen zweifelsohne "Rhapsody in Blue" und "Ein Amerikaner in Paris". Aber wie sieht es mit seinem "eigentlichen" Klavierkonzert aus? Das Concerto in F möchte ich Ihnen in der heutigen Ausgabe gerne näher vorstellen.

Am 12. Februar 1924 waren in der New Yorker Aeolian Hall selbst führende Musikerpersönlichkeiten wie Sergej Rachmaninow, Jascha Heifetz, Igor Strawinsky, Leopold Stokowski und Willem Mengelberg neugierig auf die Uraufführung eines unkonventionellen Musikstücks. Die Komposition hieß „Rhapsody in Blue“, und der 25-jährige George Gershwin leitete hiermit den Weg zum sinfonischen Jazz ein. Doch trotz des sensationellen Erfolgs blieben Zweifel an den Fähigkeiten des jungen Mannes bestehen. Ließ sich der verheißungsvolle Weg überhaupt fortsetzen? Nicht zuletzt erwartete man von Gershwin ein wirklich eigenständig geschaffenes Werk, denn für die „Rhapsody in Blue“ hatte er sich noch von Ferde Grofé die Instrumentierung besorgen lassen. 

Die Gelegenheit zur Bewährung ergab sich wenig später, als der Dirigent Walter Damrosch Gershwin einen Kompositionsauftrag erteilte. Es ist fast schon erstaunlich, dass der Leiter der ehrwürdigen New York Symphony Society solches Vertrauen in den jungen Musiker setzte, Damrosch war nicht zuletzt für seine Wagner-Aufführungen an der Metropolitan Opera berühmt. George Gershwin begann im Juli 1925 die Ausarbeitung seines Klavierkonzerts, und am 10. November 1925 lag das Werk fertig vor. Die Komposition sollte ursprünglich den Titel „New York Concerto“ tragen, doch später beließ Gershwin es bei dem klassischen Titel. Vor der Premiere hatte Gershwin privat ein fünfzigköpfiges Orchester engagiert, um das Werk auszuprobieren, wohl weil er wegen seiner begrenzten Erfahrung im Orchestrieren unsicher war. 

Nach klassischem Vorbild hat das Concerto drei Sätze. Im ersten Satz "Allegro", der den "jungen, enthusiastischen Geist des amerikanischen Lebens" einfangen soll, wie Gershwin selbst formuliert, greift er unter anderem auf einen Charleston-Rhythmus zurück. Der zweite Satz "Andante con moto" ist ein poetisches Blues-Nocturne und "fast mozartisch in seiner Einfachheit". Am Schluss steht ein rauschendes "Allegro agitato", "eine Orgie von Rhythmen", in dem mehrere jazzige Themen spielerisch vereint werden – auch die der vorigen Sätze. 

Die Uraufführung fand am 3. Dezember 1925 in der New Yorker Carnegie Hall statt. Walter Damrosch leitete das New York Symphony Orchestra, der Komponist gestaltete selbst den Solopart – von Gershwins fulminantem Klavierspiel geben heute noch Tondokumente Aufschluss. Auch dieses neue Werk fand begeisterte Aufnahme, und es gab sogleich Folgeaufführungen in Washington, Philadelphia und Baltimore. Von Unerfahrenheit auf dem Gebiet der Orchesterbehandlung ist bei dieser Komposition nichts zu spüren. Nach einem frühen Sensationserfolg erfüllte Gershwin mit dem Klavierkonzert erneut die höchsten Erwartungen. 

Seit vielen Jahren bin ich ein großer Bewunderer des Dirigenten Michael Tilson Thomas. Seit 25 Jahren leitet er das San Francisco Symphony Orchestra, und seit nunmehr 50 Jahren ist er auch dem London Symphony Orchestra eng verbunden. Mit seiner Reihe "Keeping Score" zählt er zu den wichtigen Musikvermittlern in den USA und setzt damit die Linie von Leonard Bernsteins Fernsehformaten für klassische Musik eindrucksvoll fort. Wann immer er bei seinen seltenen Gastspielen in Deutschland auftrat, war ich gerne als Zuhörer im Konzertsaal dabei, und besonders für amerikanische Werke ist er ein großartiger Dirigent - es gibt wohl kaum eine Note von George Gershwin, die er nicht  aufgeführt oder aufgenommen hat. Daher heute ein Konzertmitschnitt mit dem London Symphony Orchestra vom 12. März 2015 aus dem Barbican Centre; Michael Tilson Thomas dirigiert Gershwins Concerto in F, Solistin ist Yuja Wang:

www.youtube.com/watch

Und auch die Zugabe lohnt sich noch und zeigt, dass Michael Tilson Thomas auch ein hervorragender Pianist ist: Aus Francis Poulencs Sonate für Klavier zu vier Händen ist hier der letzte Satz "Final" zu erleben - und auch an musikalischem Witz fehlt es hier nicht:


www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler