Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
drei Hinweise genügen, um das heutige Musikstück einzugrenzen: Eine Orgel, ein amerikanischer Komponist und ein musikalisches Thema, das vor allem als Nationalhymne bekannt ist - dafür kommt nur ein Werk in Frage: Variations on "America" von Charles Ives. Vielleicht haben Sie es letzte Woche schon im Orgel-Kurzkonzert aus der Essener Philharmonie entdeckt, als ich Ihnen Zsolt Gárdonyis "Mozarts Changes" vorgestellt habe.
Charles Ives gilt als Begründer einer genuin amerikanischen Musiksprache und ist in nahezu jeder Beziehung ein Sonderfall der Musikgeschichte. Nach seiner musikalischen Ausbildung am Konservatorium wurde er Versicherungsmakler, um nur noch nebenbei zu komponieren. Seine Variations on "America" schrieb der 1874 in Danbury/Connecticut geborene Komponist bereits 1891 für die Orgel. Bereits im Alter von 13 Jahren war er als Organist tätig, und so führte er sein Werk 1875 gleich selbst zum Nationalfeiertag der USA am 4. Juli auf.
Charles Ives wählte als Grundlage für seine Variationen die alte amerikanische Volkshymne "America". Seit den Tagen George Washingtons wird sie mit dem Text "My Country, ‘Tis of Thee" auf die Melodie des englischen "God Save the Queen" gesungen. In seinen Orgelvariationen offenbart Charles Ives bereits eine Vielzahl technischer, formaler und stilistischer Phänomene, die sein Werk – und in weiterer Folge die Musiksprache Amerikas – ausmachen. Seine wichtigsten Lehrer in dieser Zeit waren sein Vater, die Natur und die Klänge selbst. Von seinem Vater, einem ehemaligen Armeekapellmeister, hatte Ives gelernt, genau hinzuhören, seine Fantasie zu nutzen und mit Experimenten den Dingen auf den Grund zu gehen.
Diese Eigenschaften bringt er in diesem Werk bestens zur Geltung und hat damit als 17-Jähriger bereits gezeigt, was sich in alten Hymnen alles verstecken kann. Mit augenzwinkerndem Ernst rüttelt er das patriotische Lied und die musikalische Tradition gründlich durch. Ives hat das Stück immer wieder überarbeitet. Von 1894 bis 1898 studierte er an der Yale University. Dort vermittelte ihm Horatio Parker die solide Satztechnik Josef Gabriel Rheinbergers. In die endgültige Fassung sind auch diese Ideen eingeflossen. 1963 bearbeitete William Schuman die ursprünglichen Orgelvariationen für Orchester.
Drei Fassungen dieses Stücks möchte ich Ihnen heute vorstellen - zunächst die Originalversion für Orgel mit Jens Korndoerfer in einem Live-Mitschnitt vom 1. September 2019 aus der Abtei Marienstatt (Rheinland-Pfalz).:
Kennengelernt habe ich das Stück zunächst durch die Orchesterfassung von William Schuman - übrigens mit dem New York Philharmonic unter der Leitung von Kurt Masur. Es ist gar nicht so leicht, einen Mitschnitt dieser Fassung zu finden, aber das Victoria Symphony Orchestra unter der Leitung Darryl One verschafft Abhilfe - hier in einem Konzert vom 27. Oktober 2018 im Victoria Fine Arts Center:
www.youtube.com/watch
Und als letzte Empfehlung heute noch eine Fassung, die ich zufällig beim Recherchieren für die heutige Ausgabe entdeckt habe. Das Klavierduo 4handsLA, bestehend aus Steven Vanhauwaert und Danny Holt spielt eine selbst arrangierte Version für Klavier zu vier Händen - und hat offensichtlich viel Spaß dabei:
www.youtube.com/watch
Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler