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25.06.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 191

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

Jahrzehnte lang stand er als Synonym für die Opera buffa, doch nach der Uraufführung seines "Wilhelm Tell" 1829 wandte Gioacchino Rossini sich vor allem der Kammermusik und der geistlichen Musik zu. Zwei bedeutende Werke sind in dieser Zeit entstanden: Die Petite Messe solennelle hatte ich Ihnen bereits vor einigen Wochen vorgestellt, heute soll das Stabat Mater folgen, das zwischen 1832 und 1841 entstand. Die Uraufführung im folgenden Jahr spaltete das Pariser Publikum in Befürworter und Gegner.


Der Auftrag für das Stabat Mater kam 1832 von dem Madrider Erzdiakon Don Manuel Fernandez Varela. Rossini sagte zu, komponierte aber nur sechs Sätze und überließ die Komposition der restlichen Sätze seinem Kollegen Giuseppe Tadolini. So wurde das Werk am Karfreitag 1833 in Madrid uraufgeführt. Nach dem Tod des Auftraggebers geriet das Autograph in die Hände des Pariser Verlegers Antoine Aulagnier. Um einer künstlerischen und geschäftlichen Benachteiligung vorzubeugen, ersetzte Rossini die von Tadolini geschriebenen Sätze durch eigene Musik. In dieser komplettierten Form erklang das Werk am 7. Januar 1842 im Théàtre des Italiens von Paris. 

Kirchen- und Bühnenmusik war in der geistlichen italienischen Musik des 19. Jahrhunderts so gut wie untrennbar; gerade wegen dieser Eigenschaft wurde die Gattung so oft als "Schädigung des Ortes und der Feier" kritisiert. Dass die romantischen italienischen Kirchenkompositionen nicht so sehr die musikalische Ausdeutung der theologischen Aussage des Textes bevorzugten, sondern "eine gewisse innere Überschwenglichkeit, die weder angetauft noch anstudiert werden kann" (so Heinrich Heine über Rossinis Stabat Mater), hat einen eigenen ästhetischen Wert, der sowohl die Wirkung einer mitreißenden Musik als auch die Wirkung des frommen Inhalts berücksichtigt.

Gemäß der kirchenmusikalischen Tradition Italiens und insbesondere aufgrund des von ihm hochgeschätzten Stabat Mater von Pergolesi teilte Rossini die mittelalterliche Sequenz des Stabat Mater in klar getrennte Solo- und Ensemblesätze ein. Das Werk enthält sowohl opernhafte als auch kirchenmusikalische Züge: schwungvolle Melodik und vorantreibende Rhythmik stehen neben kontrapunktischen, im alten Stil komponierten Abschnitten.

Der höchst dramatischen Eröffnung, die durch eine düstere g-Moll-Atmosphäre geprägt ist, folgt ein Tenorsolo ("Cujus animam gementem"), das ganz in der Tradition einer virtuosen Opernarie steht. Der Aufbau des Duetts "Quis est homo" (Sopran-Mezzosopran) folgt der üblichen italienischen Opernduett-Struktur, wo jede Stimme zunächst einen eigenen Teil hat und sich erst danach beide im reich verzierten Duett-Gesang treffen. Einen starken Gegensatz zu diesen Arien-Abschnitten stellt der a cappella-Chorsatz "Eja mater fons amoris" dar: chorische Abschnitte wechseln mit dem Bass-Solo, mal streng rezitierend, mal geradezu geschmeidig bei den Worten "in amando Christum Deum". Im achten Satz ("lnflammatus et accensus") mit seinen düster drohenden Farben ahnt man schon das "Dies irae" des Requiems von Giuseppe Verdi. Im vorletzten Satz greift Rossini wieder auf den a cappella-Chorsatz im Palestrina-Stil zurück. Der Schlusssatz danach bringt ein schwungvolles Fugato; kurz vor der Coda zeigt Rossini einen Meistergriff: noch einmal erklingt die trauernd klagende Einleitungsmusik des Eröffnungssatzes, um dem jubelndem Schluss noch mehr Gewicht zu verleihen.
 

Drei Aufführungen stelle ich Ihnen heute gerne vor, zunächst eine beinahe schon legendär zu nennende Besetzung aus den Achtziger Jahren: Unter der Leitung von Carlo Maria Giulini musizierten am 23. August 1981 in der Londoner Royal Albert Hall der Philharmonia Chorus und das Philharmonia Orchestra, die Solisten sind Katia Riccarelli (Sopran), Lucia Valentini Terrani (Mezzosopran), Dalmacio Gonzalez (Tenor) und Ruggero Raimondi (Bass).

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Bei den Salzburger Festspielen war Rossinis Stabat mater am 8. August 2011 in folgender Besetzung zu erleben: Anna Netrebko (Sopran), Marianna Pizzolato (Mezzosopran) Matthew Polenzani (Tenor), Ildebrando D'Arcangelo (Bass) sowie Coro e Orchestra dell'Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Sir Antonio Pappano:

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Mit Rossinis Meisterwerk wurde am 28. Juni 2015 auch das Rheingau-Musikfestival in der Basilika des Kloster Eberbach eröffnet. Es sangen und musizierten
Marina Rebeka (Sopran), Marina Comparato (Mezzosopran), Michele Angelini (Tenor), Marco Spotti (Bass), der MDR-Rundfunkchor und das hr-Sinfonieorchester unter der Leitung von Andrés Orozco-Estrada:

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Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler