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04.10.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 234

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

"nach jeder Aufführung komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass meine letzte Sinfonie ein misslungenes Werk ist... Es hat sich herausgestellt, dass sie zu bunt, zu massig, zu unaufrichtig, zu lang, überhaupt wenig ansprechend ist. Sollte ich mich schon ausgeschrieben haben? Sollte wirklich schon der Anfang des Endes begonnen haben?" Diese Zeilen verfasste Peter Tschaikowsky im Dezember 1888 an seine Brieffreundin und Förderin Nadeshda von Meck. Der Komponist schreibt hier über seine sogenannte "Schicksals-Sinfonie", die Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64.

Verzagtheit und Selbstzweifel - Peter Tschaikowsky war 1888 an einem persönlichen Tiefpunkt angekommen. „Schreiben für wen? Weiterschreiben? Lohnt kaum“, vertraute er sich seinem Tagebuch an. Und doch: Ein Umzug auf sein Landgut Frolowskoje in der Nähe der russischen Stadt Klin gab ihm wieder die Kraft zum Komponieren. Eine neue Sinfonie sollte es werden - immerhin war es schon elf Jahre her, dass er seine letzte komponiert hatte. So entstand innerhalb weniger Wochen seine fünfte Sinfonie.

Vielleicht waren diese tiefe Verzweiflung und Ängste der Grund dafür, dass eine eher dunkle, zum Teil fast schon mystische Sinfonie in Moll entstanden ist. Schon der erste Satz wird von der Klarinette mit dem Schicksalsmotiv eingeleitet, das der Komponist selbst als „vollständiges Sich-Beugen vor dem Schicksal oder was dasselbe ist, vor dem unergründlichen Walten der Vorsehung“ bezeichnete. Dieses leitet in ein eindringliches Hauptthema, das von den Streichern übernommen wird. Erst das Seitenthema in D-Dur hebt sich deutlich vom marschartigen Leitmotiv ab. Dennoch taucht dieses immer wieder in den einzelnen Orchesterstimmen auf und zieht sich wie ein roter Faden durch die folgenden Sätze, bis es im Finale schließlich die Überhand gewinnt.

Am 17. November 1888 leitete Tschaikowsky selbst die Uraufführung seiner Schicksals-Sinfonie in St. Petersburg. Allein der Erfolg hätte für sich und gegen alle Zweifel des Komponisten sprechen können. Der Kritiker Josef Sittard bezeichnete das Werk sogar als eine der „bedeutendsten musikalischen Erscheinungen unserer Zeit“. Bis heute gehört diese Sinfonie neben Tschaikowskys vierter und sechster Sinfonie zu einem seiner beliebtesten und meistgespielten Werke.

Tschaikowskys fünfte Sinfonie ist für mich untrennbar mit dem 70. Geburtstag von Leonard Bernstein verbunden. Weltweit wurde 1988 eine große Geburtstagsgala aus Tanglewood gesendet, in der viele Klassikstars dem Maestro gratulierten - den Abschluss dieser Übertragung bildete Tschaikowskys fünfte Sinfonie (leider nur das Finale) mit dem Boston Symphony Orchestra unter Bernsteins Leitung. Ein kurzer Ausschnitt aus dem Finale ist hier zu sehen - hochemotional interpretiert:

www.youtube.com/watch

Im folgenden Konzertmitschnitt können Sie Tschaikowskys Fünfte in voller Länge erleben. Das West Eastern Divan Orchestra spielte am 8. November 2018 unter der Leitung von Daniel Barenboim in der New Yorker Carnegie Hall:

www.youtube.com/watch

Zwei Zugaben, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, spielte das Orchester an diesem Abend - "Nimrod" aus Edward Elgars "Enigma"-Variationen und das Vorspiel zu "Die Meistersinger von Nürnberg" von Richard Wagner:

www.youtube.com/watch

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler