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05.11.2020 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten Folge 97

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

wann haben Sie zuletzt einen Brief mit der Hand geschrieben? In Zeiten

von Emails, Whatsapps und Twitter kommt das immer seltener vor -

dennoch möchte ich Ihnen heute einen der berühmtesten Briefe der

Musikgeschichte vorstellen, der in Alexander Puschkins Versroman

"Eugen Onegin" eine wichtige Rolle spielt. Puschkins Roman ist das

russische Nationalgedicht schlechthin und diente Peter Tschaikowsky

als Vorlage zu seiner wohl populärsten Oper.

War es Ironie des Schicksals, dass Puschkin auf die gleiche Weise zu

Tode kam wie der romantische Dichter Lenski in seinem bekanntesten

Werk "Eugen Onegin"? Genau wie seine Romanfigur starb der russische

Dichter in einem Duell. Der Grund im Roman wie im richtigen Leben:

Eifersucht und gekränkter Stolz. Puschkin entwickelte mit seinem

Titelhelden den Typus des „überflüssigen Menschen“: ein reicher, aber

stets gelangweilter, der Welt und ihrer Verlockungen überdrüssiger

Adliger, den es bald hierhin, bald dorthin zieht, der seinen Freund im

Duell tötet und der sich an nichts und niemanden binden kann, bis er

wie eine verdorrte Frucht zurückbleibt.

Inhalt: Eugen Onegin, ein russischer Dandy, zieht von der Stadt aufs

Land. Dort langweilt er sich und freundet sich mit dem Dichter Lenski

sowie mit der Familie Larin an. Er verdreht Tatjana Larin den Kopf,

weist ihre Avancen jedoch ab. Als Onegin mit Lenskis Verlobter

flirtet, fordert dieser ihn zum Duell - und wird getötet. Einige Jahre

später erwacht Onegins Liebe zur inzwischen verheirateten Tatjana doch

noch. Aber jetzt ist sie es, die ihm einen Korb gibt.

Tschaikowsky nannte sein Werk nicht Oper, sondern "Lyrische Szenen".

Wichtiger als die Handlung war ihm das Innenleben der Hauptpersonen,

welches er in Musik setzen wollte. Zu den Höhepunkten gehört

zweifelsohne die Briefszene der Tatjana im ersten Akt. Nach einem

Spaziergang mit Onegin ist ihr bewusst geworden, dass sie sich in ihn

verliebt hat. Sie setzt sich an den Schreibtisch und schreibt Onegin

einen schwärmerischen Liebesbrief - und dieser Brief ist einer der

großen Monologe der Operngeschichte. Tatjana geht in dieser berühmten

Szene alle Gefühlslagen durch: Von hoffnungslos verzweifelt bis zur

ekstatischen Hochstimmung.

Im September 1993 spielte das Deutsche Symphonieorchester Berlin in

der Philharmonie eine Tschaikowsky-Gala, in der auch die Briefszene

der Tatjana auf dem Programm stand. Chefdirigent war damals Vladimir

Ashkenazy, die Solistin war Julia Varady:

https://www.youtube.com/watch?v=c6c5VZBSccI

Ihnen allen einen schönen Tag mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler