Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freunde der Kirchenmusik,
mit Temperament und Schwung möchte ich Sie in das vorliegende Wochenende mit einer Sinfonie geleiten, die viel zu selten auf den Konzertprogrammen erscheint:
George Bizets Sinfonie Nr. 1 C-Dur.
So wie Bizets bekannteste Oper "Carmen" erst nach seinem Tod ihren Siegeszug um die Welt antrat, verhielt es sich auch mit seiner C-Dur-Sinfonie; sie wurde überhaupt erst 1935 uraufgeführt. Bizet schrieb sie innerhalb weniger Wochen mit 17 Jahren als Student des Pariser Conservatoire, wo er bereits mit neun Jahren eingeschrieben war und später Meisterschüler von Charles Gounod und Froméntal Halévy wurde. Möglicherweise stellte der sinfonische Erstling sogar nur eine normale Examensarbeit dar, doch offensichtlich hielt der Komponist diesen nicht für wert, veröffentlicht zu werden. Zum Glück erkannte der schottische Musikschriftsteller Douglas Charles Parker, welchen Schatz er da im Archiv entdeckt hatte, und legte ihn dem Dirigenten Felix Weingartner dringend ans Herz. Nach der sensationellen Uraufführung unter dessen Leitung in Basel eroberte sich die Sinfonie schnell einen festen Platz im Konzertrepertoire.
Was aber führte wohl dazu, dass Bizet dieses Kleinod ad acta legte und auch später, soweit bekannt, nie mehr erwähnte? Vielleicht wegen der doch recht deutlichen formalen Parallelen zur D-Dur-Sinfonie des Lehrers Gounod, und natürlich kann man auch die Musik von Mozart, Rossini, Schubert oder auch Schumann mehr als erahnen. Der Hauptgrund war aber wohl tatsächlich, dass es sich nur um eine Pflichtübung handelte und weder der bewertende Lehrer noch der Schüler selbst ihren Wert erkannte. So geriet sie in Vergessenheit und schlummerte beinahe 80 Jahre im Archiv.
Natürlich hört man an den zahlreichen Anleihen aus der Musikgeschichte, dass wir es in der ersten Sinfonie noch nicht mit einem „fertigen“ Komponisten mit ausgereiftem Personalstil zu tun haben, aber Bizet macht dies mit einer Frische und Unbekümmertheit wett, die heute noch mitreißt. Ihre eingängige Leichtigkeit aus einem Guss bleibt im Gedächtnis haften. Hier offenbart sich bereits ein Meister, der sich instinktiv bereits der Wahl seiner Mittel sicher ist, der sowohl im großen Bogen wie im kleinen Detail nuancenreich und ausgewogen formt und erstaunlich sicher instrumentiert. Formal folgt die Sinfonie komplett dem klassischen Ideal eines Mozart oder Haydn. Sie ist viersätzig, die temperamentvollen Ecksätze folgen dem Sonatensatzmuster, dazwischen stehen ein langsamer Lied-Satz und ein typisches Menuett.
Am 17. Juli 2010 entstand der folgende Konzertmitschnitt mit dem Verbier Festival Chamber Orchestra unter der Leitung von Gábor Takács-Nagy:
Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig
Matthias Wengler