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06.08.2021 Kategorie: ElmMusik, ErkerodeMusik

Musik in schwierigen Zeiten

Folge 209

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde der Kirchenmusik,

im Jahr 1892 genoss Antonín Dvořák den Sommer im tschechischen Vysoká ganz besonders, denn schon bald sollte es auf eine große Reise nach Amerika gehen. Noch in den letzten Tagen vor seiner Abfahrt vollendete er das Te Deum op. 103.

Jeannette Thurber, amerikanische Mäzenin und Gründerin des National Conservatory of Music in New York, hatte Dvořák ein Jahr zuvor mit einem ansehnlichen Honorar gelockt, Direktor ihres Musikinstituts zu werden. Nach reiflicher Überlegung gab Dvořák ihrer Bitte nach und traf Ende September 1892 mit seiner Familie in New York ein. Auf dem tschechischen Komponisten, der in Europa und Übersee als Berühmtheit galt, lagen große Hoffnungen. Er sollte, wie er einem Freund gegenüber erwähnte, nichts weniger als den Amerikanern "den Weg ins gelobte Land und in das Reich der neuen, selbständigen Kunst weisen, kurz, eine nationale Musik schaffen". Der Traum der Millionärsgattin Thurber bestand darin, Amerika von der Abhängigkeit fremder Kunst - sprich: der Musik der Alten Welt Europa - zu befreien. Dvořák, der als Schöpfer der tschechischen Nationalmusik galt, sollte dabei helfen.
 

Mit seiner Ernennung zum Direktor bat Jeanette Thurber Dvořák um eine Kantate, die sowohl den 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus feiern sollte als auch Dvořáks eigene Ankunft in der Neuen Welt. Da der versprochene Text nicht eintraf, machte Dvořák, um diesen Auftrag noch rechtzeitig zu erfüllen, aus der Not eine Tugend und wandte sich dem lateinischen Text des "Te Deum laudamus" zu. Obwohl nicht für eine religiöse Feier gedacht, finden wir darin Dvořáks aufrichtiges Empfinden einer Danksagung, eine zutiefst persönliche Zusammenfassung seines Glaubens.

Der erste Satz wird durch Paukenschläge eröffnet; der Chor stimmt das feierliche „Te Deum laudamus“ („Dich, Gott, loben wir“) an. Im ruhigeren Mittelteil nimmt der Solo-Sopran die leisen, ehrfurchtsvollen Sanctus-Rufe aus dem Chor auf und verkündet den Lobgesang der Propheten und Märtyrer, ehe das triumphale Anfangsthema wieder erscheint. Mit Trompeten und Posaunen wird der zweite Satz eröffnet, in dem der Solo-Bass die königliche Majestät Christi preist („Tu rex gloriae, Christe…“) und Inhalte aus dem Glaubensbekenntnis vorgetragen werden. Der dritte Satz ist ein reiner Chorsatz. Er lebt von extremen Kontrasten in der Dynamik und dramatischen Passagen, in denen sich Frauen- und Männerstimmen abwechseln. Im Schlusssatz folgt zunächst die inständige Bitte um Erbarmen (Solo-Sopran). Die beiden Solisten stimmen daraufhin unisono das von Dvořák eingefügte „Benedicamus…“ an, der Chor erwidert mit jubelnden Allelujarufen. Im Orchester werden die einprägsamen Motive aus dem Eingangssatz wieder aufgenommen. Das Werk endet in einem prachtvollen Tutti.

Offenbar hochmotiviert vollendete der gläubige Katholik Antonín Dvořák das Te Deum innerhalb eines Monats. Das 20-minütige Werk erlebte seine Uraufführung bei Dvořáks Antrittskonzert am 21. Oktober 1892 in der Carnegie Hall mit einem Chor aus 250 Sänger*innen.


Cristian Măcelaru wählte Dvoraks Te Deum für sein Antrittskonzert als neuer Chefdirigent des WDR Sinfonieorchesters, das am 6. September 2019 in der Kölner Philharmonie stattfand. Die Solisten waren Simona Šaturová (Sopran) und Michael Nagy (Bariton), die Chöre wurden besetzt durch den WDR Rundfunkchor und den Chor des Bayerischen Rundfunks: 

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Ihnen allen ein schönes Wochenende mit herzlichen Grüßen aus Braunschweig

Matthias Wengler

Beitrag von Matthias Wengler